So war’s bei der Vogelführung zum Neuntöter im Obergrün

Wenn dieser Vogel einen Ort zu seinem Zuhause erklärt, dann wissen wir, dass die Natur dort noch in Ordnung ist: Der Neuntöter braucht eine reich strukturierte Wiesen‐ und Heckenlandschaft mit vielen Insekten und ausgedehntem dornigen Dickicht, wohinein er sein Nest baut. Diese idealen Bedingungen findet er bei uns im Obergrün und sie führen dazu, dass er dieses Jahr zum vierten Mal in Folge hier brütet!
Am Sonntag, den 19. Juni 2022 hatten wir Gelegenheit, diesen besonderen Vogel zu beobachten: Auf Initiative der IG Obergrün führten Ralf Schmidt (Vorsitzender des NABU Freiburg) und Kerstin Geigenbauer vom Vorstand des Vereins Bauernhoftiere für Stadtkinder bei einer Vogelführung durch’s Obergrün – so war‘s:

Sonntagmorgens um 7 Uhr machte sich die Gruppe von ca. 30 Menschen auf ins Gelände. Die Wiesenflächen wurden bis in die 90er Jahre von den Landwirten gemäht, dann aufgegeben und die natürliche Sukzession nahm ihren Lauf, Gehölze machten sich breit und die Wiesen wucherten nach und nach zu. Ab 2010 übernahmen dann Schafe und Ziegen die Landschaftspflege und halten bis heute die Brombeere in Schach. So entstand ein halboffenes Mosaik, allerorten Rendezvousplätze für Insekten, mit hohen und niedrigen Bereichen und vielen Randflächen. Gerade die Ränder sind es, an denen die Artenvielfalt am größten ist. Auch Bergmolche wohnen im Gelände (bei einem päd. Projekt waren kürzlich 12 Molche im Sieb!) und die Erdkröte.

  • wir hören die Mönchsgrasmücke, Rabenkrähen, auch eine Ringeltaube
  • wir sehen Stare, Kohlmeisen, Mehlschwalben, Alpensegler 


Nach der Bebauung von Tränkematten‐Süd (2018 fertiggestellt) ist die Fläche jetzt erneut unter Druck: Der Investor Treubau soll dort die nächste „Arrondierung“ vornehmen dürfen (Bebauungsplan Obergrün). Wir laufen nun genau in den zur Bebauung vorgesehenen Bereich hinein und treffen auf eine für diesen Ort auffallend breite asphaltierte Straße. Es ist die Bauzufahrtsstr. von 2015, die leider nach Fertigstellung der Gebäude nicht wieder rückgebaut wurde. Der breiten Straße fielen damals Eidechsenhabitate zum Opfer. Die Treubau als Investor sorgte zwar für naturschutzrechtlichen Ausgleich, aber wie wir sehen, dümpeln die Steinhaufen, die nebenan als Ersatzquartiere für die Eidechsen angelegt sind, im hohen Gebüsch vor sich hin, man sieht sie kaum noch. Offensichtlich pflegen die Verantwortlichen die Ersatzhabitate nicht frei. Dies ist aber für den Erhalt der Insektenvielfalt, Nahrung der Eidechsen, dringend geboten und auch gesetzlich vorgeschrieben. Ausgleichsmaßnahmen‐Flächen müssen 25 Jahre lang gepflegt werden (wohingegen Landschaft und Lebensraum für immer beeinträchtigt bleiben!). Ähnliches könnte sich jetzt mit dem Baugebiet Kleineschholz wiederholen, denn auch dort werden viele Eidechsen vergrämt und umgesiedelt. Eine Teilnehmerin ergänzt, dass nach einem Forschungsbericht aus dem Raum Heilbronn nur lediglich 10 % der Eidechsen ihre Umsiedlung überleben. „Dass Umsiedlungen wenig wirksam sind, ist unter Reptilienexperten wohl bekannt. Genannt wird beispielsweise eine Sterberate von 80 % der umgesiedelten Tiere im ersten Jahr.“ (Mitteilung des LNV‐ Vorsitzenden Gerhard Bronner) Diese Art des Umgangs mit der Natur ist skrupellos, sie stellt lediglich eine Möglichmachung von Baugebieten dar.

  • ein Graureiher zieht über uns hinweg
  • wir hören den Stieglitz, Vogel des Jahres 2016 – er findet seine Nahrung in einer kleinräumig genutzten Kulturlandschaft und braucht Brachland und Disteln
  • der Mäusebussard kreist über uns

Der holt auch schon mal junge Kaninchen, wie wir hören. Ob es einen Fuchs gebe? Nein, leider nicht mehr. Bevor Tränkematten gebaut wurde, gab es ihn noch.
Der durchs Gelände verlaufende Mühlbach plätschert nicht. Aufgrund mangelnder Niederschläge hat die Stadt den Gewerbekanal, an dem alle Bächle und Runzbäche (so auch der Mühlbach) hängen, trockengelegt, um den Pegel der Dreisam zu stabilisieren.

Am Wegesrand steht eine schulterhohe, sehr imposante Pflanze, die Eselsdistel. Und kürzlich wurde hier das Bunte Vergissmeinnicht (Myosotis discolor) gefunden, erkennbar an seinen verschiedenfarbigen Blüten (gelb, rosa und hellblau). Es besiedelt vorzugsweise Grünland mit offenen Bodenstellen, z. B. Schafweiden, auch Ackerränder. In Baden‐Württemberg ist es selten und dies hier ist der 1. Nachweis für diesen Freiburger Quadranten überhaupt.

  • wir sehen den Haussperling (der Feldsperling kommt leider hier nicht mehr vor)
  • Girlitze und die Gartengrasmücke sind zu hören 


Und dann: der Neuntöter! Er sitzt auf dem Ansitz (so wird in der Jägersprache eine Stelle bezeichnet, die sich für das Ausschauhalten nach Beute eignet) auf einem Zaunpfahl und wartet geduldig, bis alle Menschen ihn im Fernglas ins Visier genommen haben. Sein auffälliger schwarzer Augenstreif am grauen Oberkopf ist deutlich zu sehen, in der Sonne leuchtet sein rotbrauner Rücken. Es ist ein Männchen, die Weibchen sind nicht gar so bunt. Typisch sind sein Schwanzwackeln bei Aufregung und das leise Schwätzen mit vielen Nachahmungen anderer Vogelarten. Der Name Neuntöter beruht auf der Erzählung, er spieße zur Vorratshaltung neun erbeutete Insekten auf Dornen auf. Der Neuntöter verbringt den größten Teil seines Lebens im tropischen Afrika und lebt nur von Mai bis August bei uns.

  • nicht weit über uns ziehen Mauerseglerpaare ihre schnellen Runden am blauen Himmel
  • auch Saatkrähen sind zu sehen 


Wir erfahren, dass im Obergrün zwei verschiedene Eidechsenarten vorkommen, die Zauneidechse und die Mauereidechse. Von letzterer gibt es in Baden‐Württemberg inzwischen zwei verschiedene Populationen: eine einheimische, angestammte, und eine zweite, die ursprünglich aus Italien stammt und manchmal entlang der Bahnlinien zu finden ist. Der globale Güterverkehr sorgt dafür, dass sich globusweit Arten in Regionen ausbreiten können, in denen sie fremd sind. 
Dann kommen wir an dem seit vielen Jahren mit Herzblut betriebenen Gemeinschaftsgarten vorbei und in jenen Bereich des Obergrün, in dem winters Gruppen von mehr als 100 Bluthänflingen ihr Nachtquartier aufschlagen. Dieses Spektakel werden wir uns sicher im kommenden Winter einmal anschauen. Der Bluthänfling ist leider aufgrund der Intensivierung der Landwirtschaft in seinem Vorkommen gefährdet. 
Und nochmals der Neuntöter, dieses Mal auf einem Brombeergebüsch. Immer wieder flattert er zu Boden, holt sich schnell ein Insekt und kehrt zurück auf seinen Brombeerbusch. Neuntöter brauchen zur Jungenaufzucht Großinsekten. Im Obergrün findet er unter anderem Feldgrillen und Heuschrecken, später im Jahr auch Gottesanbeterinnen. 


Wir sind erfüllt von so viel Artenvielfalt auf kleinster Fläche und auch die weiten Blicke in die ruhige abwechslungsreiche Szenerie tun gut.
Es klingt nach, was Frau Geigenbauer zu Beginn der Führung gesagt hatte: „Ich bin Biologin. Diese Fläche hat mich dazu gemacht.“